Der Himmel des Glaubens
Teleskope, Satelliten und Raumfähren haben
die Vorstellung von einem Himmel radikal verändert. Der »Himmel«
des christlichen Glaubens ist
kein überweltliches Droben – weder
das halbkugelähnliche Gewölbe des göttlichen Thronsaales
in einer »Überwelt« noch der Himmel der Astronauten
– also kein Himmel im physikalischen Sinn;
kein außerweltliches Drüben –
Gott west nicht »außerhalb« der Welt im Jenseits.
Christen glauben, daß die Welt in Gott geborgen ist –
also kein Himmel im übernatürlichen, metaphysischen
Sinn;
kein Ort, sondern eine Seinsweise – Gott
und Himmel sind identisch. Deshalb: Wenn es um den Himmel Gottes
geht, dann um jene unsichtbare »Domäne«, jenen
»Lebensraum« Gottes, für den der sichtbare physikalische
Himmel in seiner Größe, Klarheit, Lichthaftigkeit freilich
noch immer Symbol sein kann.
Weltuntergang physikalisch –
vom Menschen gemacht
Das Problem des durchschnittlichen Zeitgenossen
ist nicht so sehr das mögliche Ende des Universums in etwa
80 Milliarden Jahren, ist vielmehr der Untergang der Welt für
uns: das Ende der Menschheit. Viele Menschen zitieren angesichts
all der Welt- und Naturkatastrophen die furchterregende Vision
aus dem Neuen Testament und machen auch anderen damit angst: »Ihr
werdet von Kriegen hören, und Nachrichten über Kriege
werden euch beunruhigen. Gebt acht …« (Mt 24,6-8 29)
In der Tat: Wir sind heute die erste Menschengeneration, die fähig
ist, der Menschheit ein Ende zu bereiten.
Wie die biblischen Schöpfungsgeschichten,
so sprechen die apokalyptischen Visionen keine naturwissenschaftliche
Faktensprache, sondern eine metaphorische Bildersprache. Sie wollen
die weltgeschichtlichen Ereignisse deuten. Sie stehen für
das durch die reine Vernunft Unerforschliche, für das Erhoffte
und Befürchtete. In den biblischen Aussagen über das
Ende der Welt geht es um ein Glaubenszeugnis für die Vollendung
des Wirkens Gottes an seiner Schöpfung: Wie am Anfang der
Welt, so steht auch an ihrem Ende nicht das Nichts, sondern Gott.
Die Weltgeschichte als Weltgericht?
Nein, volle Gerechtigkeit gibt es nach allen
Erfahrungen auf dieser Erde nicht, weder in der Geschichte der
Völker noch im Leben der einzelnen. Volle Gerechtigkeit bleibt
Gegenstand der begründeten Hoffnung, der konkreten Sehnsucht.
So hat sich die uralte ägyptische Vorstellung
vom Totengericht bereits im frühen Judentum wie schon in
der persischen Religion mit einer Enderwartung verbunden: ein
Gericht also nicht nur über den einzelnen unmittelbar nach
seinem Tod, nein, ein Gericht über die gesamte Menschheit
am Ende der Zeit. Auch Jesus und seine Jünger standen in
dieser frühjüdischen apokalyptischen Erwartung: Auch
sie erwarteten zu Lebzeiten noch die Vollendung von Gottes Reich.
Daß aber die Geschichte der Naherwartung eine Geschichte
ihrer immer wiederholten Enttäuschungen ist, lehrt die Kirchengeschichte
vom 1. bis zum 20. Jahrhundert.
Die Apokalypsen in den Evangelien sind ganz
auf das Erscheinen Jesu ausgerichtet, der eindeutig mit dem apokalyptischen
Menschensohn identisch ist, der zum Gericht erwartet wird. Richter
ist kein anderer als Jesus – und gerade dies ist für
alle, die sich auf ihn eingelassen haben, das große Zeichen
der Hoffnung. Denn er hat in der Bergpredigt seine Maßstäbe
und Werte verkündet, und er wird auch derjenige sein, der
uns nach den gleichen Kriterien zur Rechenschaft zieht. Mit dem
Bild des Jüngsten Gerichtes ist das Versammeltwerden aller
Menschen, auch der Ärmsten, Verachtetsten, Geschundensten
und Gemordeten, zu Gott gemeint – damit endlich Gerechtigkeit
geschehe!
An den Teufel glauben?
Die Macht des Bösen in der Weltgeschichte
und im Leben des einzelnen ist weder zu leugnen noch zu verharmlosen,
ist weder zu privatisieren noch zu personifizieren:
Es gibt nicht nur ein privatisiertes Böses
im Menschen, es gibt auch das Böse als überindividuelle
Macht (Nationalsozialismus und Stalinismus z. B.). Das Böse
ist wesentlich mehr als die Summe der Bosheiten der Individuen.
Hitler und Stalin als bloße »Opfer«
des Satans zu verstehen wäre eine allzu bequeme Lösung
der Schuldfrage. Der Teufelsglaube (an das personifizierte Böse)
hat unabsehbaren Schaden gestiftet.
Und Jesus? Er läßt nichts von einem
Dualismus erkennen, bei dem Gott und Teufel auf gleicher Ebene
um Welt und Mensch streiten. Der Akzent seiner Verkündigung
liegt auf der heilenden, befreienden Herrschaft Gottes. Gerade
seine Heilungen und Dämonenaustreibungen zeigen: Die Herrschaft
der Dämonen ist zu Ende. Jesus will die Besessenen von den
psychischen Zwängen befreien und durchbricht so den Teufelskreis
von seelischer Störung, Teufelsglauben und gesellschaftlicher
Ächtung. Gott braucht keinen Antigott, um Gott zu sein, als
ob es, weil es Liebe gibt, auch immer Haß geben müsse.
Zu Recht fehlt der Teufel im Glaubensbekenntnis.
Eine ewige Hölle?
Bis ins 20. Jahrhundert wurde die Macht der
katholischen und lutherischen Kirchen über die Seelen durch
die Angst vor der ewigen Verdammung abgesichert. Das Ergebnis
dieser sprichwörtlichen »Höllenangst« waren
eingeschüchterte, verängstigte Christen, die Angst hatten
und deshalb auch angst machten. Wie viele Sex- und Schuldkomplexe,
Sünden- und Beichtängste haben in Höllenbildern
und Höllenpredigten mitgespielt. Zwangsbekehrungen, Ketzerverbrennungen,
Judenpogrome, Kreuzzüge, Hexenwahn, Religionskriege im Namen
einer »Religion der Liebe« haben Millionen von Menschenleben
gekostet. Durch den Tod des Leibes im Diesseits könne vielleicht
doch noch die Seele fürs Jenseits gerettet werden. So hat
die Kirche schon vor dem Erscheinen des Weltenrichters ungezählte
Male den letzten Gerichtstag (Tag des Zornes, Tag der Tränen)
unbarmherzig selber vollzogen. Man erkennt nun vielleicht, wie
wichtig die Aussage der Schrift ist: Nicht irgendwelche Kirchenfürsten
und Theologen werden zu Gericht sitzen, sondern Jesus Christus
selbst.
Nein, es ist nicht das Verdienst der institutionellen
Kirche, daß heute niemand mehr verbrannt wird, sondern ein
Verdienst der Aufklärung.
Um heute als Christ diese entsetzliche Höllengeschichte
zu bewältigen, bedarf es einer Rückbesinnung auf Jesus:
Jesus von Nazaret war kein Höllenprediger: Er verkündet
keine Drohbotschaft, sondern eine erfreuliche Botschaft. Glaube
hat für Jesus einen durch und durch positiven Sinn. Der Christ
glaubt von daher »an« den barmherzigen Gott, wie er
sich durch Jesus Christus gezeigt hat und im Heiligen Geist wirksam
geworden ist. Aber er glaubt nicht »an« – vertraut
nicht auf – die Hölle. Mit Recht fehlt auch die Hölle
im Credo.
Die Ewigkeit der Höllenstrafe –
für viele im Widerspruch zum Gedanken der Humanität
und eines barmherzigen Gottes – braucht nicht im strengen
Sinn genommen zu werden (»ewig« kann auch »endlos«,
»unbestimmt lang« heißen). Die Frage der Hölle
verweist den Menschen auf seine eigene Wirklichkeit. So kann man
mit dem evangelischen Theologen Jürgen Moltmann sagen: »Ist
Christus wirklich aus Tod und Hölle auferstanden, so führt
das zum Aufstand des Gewissens gegen die Höllen auf Erden
und gegen alle, die sie anheizen. Denn die Auferstehung dieses
Verdammten wird im Aufstand gegen die Verdammung des Menschen
durch den Menschen bezeugt und auch schon verwirklicht. Je realer
die Hoffnung an die zerbrochene Hölle glaubt, um so militanter
und politischer wird sie im Zerbrechen der Höllen werden,
der weißen, schwarzen und grünen Höllen, der lauten
und leisen.«
Das Fegefeuer und die unabgegoltene
Schuld
Für einen Ort oder eine Zeit der Reinigung
nach dem Tode fehlt eine biblische Begründung. Es bleibt
aber die Frage: Soll denn das Hineinsterben in Gott für alle
ein und dasselbe sein? Dasselbe für Verbrecher und ihre Opfer,
dasselbe für jene, die ein Leben lang Nächstenliebe
praktizierten, und solche, die nur nach ihrem Egoismus lebten?
Nein, ein Unreiner kann auf keinen Fall ohne Reinigung in Gott
selber seine Heimat finden.
Angesichts aller unabgegoltener Schuld richten
viele Theologen ihre Antwort heute nicht auf einen Ort oder eine
Zeit nach dem Tod, sondern auf das Sterben selbst: Das Hineinsterben
in Gott ist ja nicht zu verstehen als eine Trennung von Leib und
Seele, sondern als ein Vollzug des ganzen Menschen, wodurch er
gnädig gerichtet, gereinigt, geheilt und so erleuchtet und
vollendet wird – durch Gott selber. Nur in der Begegnung
mit dem heiligen Gott wird der Mensch voll und ganz Mensch, eben
»heil«.
Diesbezüglich bedeutet das Gebet für
die Toten nicht ein kleingläubiges lebenslanges Beten (und
kostspieliges Lesen von »Seelenmessen«) für »arme
Seelen« im »Fegefeuer«, auch nicht ein Beten
»mit« und »zu« den Toten. Wohl aber ist
es angebracht, zunächst einmal für die und mit den Sterbenden
zu beten, dann aber der Verstorbenen ehrfürchtig und liebevoll
zu gedenken und sie der Gnade Gottes anheimzustellen – in
der lebendigen Hoffnung: »Sie mögen ruhen in Frieden!«
Die Bestimmung des Menschen
Die vielumstrittene Frage, ob alle Menschen
– auch die großen Verbrecher dieser Welt – schließlich
gerettet werden, bedarf einer zweifachen Abgrenzung:
Eine notwendige Bestimmung aller Menschen zur
Seligkeit wird weder der Verantwortlichkeit des einzelnen noch
der souveränen Freiheit Gottes gerecht.
Eine »doppelte Vorherbestimmung«
– die einen zur Seligkeit, die andern zur Verdammung –
widerspricht Gottes Barmherzigkeit und Liebe, die jeden Menschen,
auch den unwilligen, retten will.
Es gilt demnach, beides gleichzeitig ernst
zu nehmen:
Mein Heil ist nicht von vornherein garantiert,
deshalb ist meine persönliche Verantwortung unvertretbar
gefordert.
Gottes Gnade sind keine Grenzen gesetzt, deshalb
brauche ich nicht an der persönlichen Verantwortung zu verzweifeln.
Gerechtfertigt wird der Mensch vor Gott nicht durch seine Leistung,
sondern durch den unerschütterlich auf Gott vertrauenden
»Glauben« (Röm 3,28). »Gott, sei mir Sünder
gnädig« (Lk 18,13).
Nur Gott schauen?
Alle großen Religionen verheißen
einen Endzustand ohne Leiden: Nach den biblischen Verheißungen
nicht nur eine »verseligende Gottesschau«, sondern
eine Neuschöpfung, »ein neuer Himmel und eine neue
Erde« (Jesaja 65,17). Alles nicht vorzustellen: »Was
kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen
in den Sinn gekommen ist: das hat Gott denen bereitet, die ihn
lieben« (1 Kor 2,9).
In vernünftigem Vertrauen, in aufgeklärtem
Glauben, in geprüfter Hoffnung darf man sich darauf verlassen,
daß kein Menschenreich, sondern ein Gottesreich das Reich
der Vollendung ist: das Reich also des endgültigen Heiles,
der erfüllten Gerechtigkeit, der vollkommenen Freiheit, der
unzweideutigen Wahrheit, des universalen Friedens und der überfließenden
Freude, ja, des ewigen Lebens.
Eine andere Einstellung zum Sterben
Unsere Verantwortung zum Leben schließt
auch die Verantwortung für unser Sterben ein. Gerade weil
der Mensch in jedem Fall Mensch ist und bleibt, hat er das Recht
auf ein menschenwürdiges Leben und auch das Recht auf ein
menschenwürdiges Sterben! Sollte es nicht möglich sein
– gewiß von allen Künsten und Medikamenten der
Ärzte gestützt und hoffentlich von guten Menschen begleitet
und umsorgt –, zu sterben vielleicht nicht ohne Schmerzen
und Sorgen, aber doch ohne Todes-Angst? Ein christenwürdiges
Sterben: Der Christ braucht Angst und Zittern nicht zu verleugnen,
aber er darf – die Todesangst Jesu im Rücken –
gewiß sein, daß auch Angst und Zittern von einem Gott,
der die Liebe ist, umfangen sind, verwandelt werden. Ein Sterben
in stiller Gefaßtheit, hoffender Gewißheit, in Zufriedenheit
und Dankbarkeit ...
Wozu sind wir auf Erden?
Ohne Zweifel soll der Christ wahrhaft Mensch
sein und sich für Humanität, Freiheit, Gerechtigkeit,
Frieden und Erhaltung der Schöpfung einsetzen. Christsein
verwirklicht einen Humanismus, der nicht nur alles Positive, sondern
auch alles Negative, Leid, Schuld, Sinnlosigkeit, Tod zu bewältigen
vermag aus einem letzten unerschütterlichen Gottvertrauen
heraus, das sich dabei nicht auf die eigenen Leistungen, sondern
auf Gottes geschenkte Kraft verläßt.
Dies ist das Entscheidende des Christseins:
In der Nachfolge Jesu Christi
kann der Mensch in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben,
handeln, leiden und sterben: in Glück und Unglück, Leben
und Tod von Gott gehalten und hilfreich den Menschen.
© Hans Küng, Jean-Louis
Gindt, Publik-Forum